Landwirtschaft in Gottenheim
Landwirtschaft / Sonderkulturen
Seit Jahrhunderten war die Landwirtschaft ohne Sonderkulturen, mit denen man handeln konnte, nicht lebensfähig.
1833 wird Johann Band, der damalige Bürgermeister, davor Ratsschreiber und Gemeinderechner, nach den wirtschaftlichen Verhältnissen gefragt. Er machte folgende Angaben:
In Gottenheim gibt es 100 Pferde, 250 Kühe, 120 Schweine, 10 Schafe und 10 Ziegen. Neben dem Getreide an Roggen, Gerste und Hafer werden noch besonders angepflanzt:
60 Morgen Hanf, 40 Morgen Kraut und 150 Morgen Erdäpfel (Kartoffeln).
Die Gemarkung war damals aufgeteilt in (1 Morgen = 36 Ar):
- 833 Morgen (300 ha) Ackerland,
- 420 Morgen (151 ha) Matten (Wiesen),
- 32 Morgen (12 ha) Weide,
- 132 Morgen (48 ha) Reben und
- 750 Morgen (250 ha) Wald.
Die Gliederung der Gemarkungsfläche in verschiedene Nutzungen kann man auf dem Gemarkungsatlas von 1883 gut erkennen.
Vergleich: Vier Nachbarorte in der March
Wein- und Obstbau
Weinbau hat durch die Römer eine überaus lange Tradition in Gottenheim, so wurden schon in der 1. urkundlichen Erwähnung im Jahre 1086 dem Kloster St.Georgen drei Parzellen im Weinberg überschrieben.
Details zur Geschichte des Weinbaus in Gottenheim Winzergenossenschaft Gottenheim
Zur Geschichte Obstbaus am Oberrhein
Holzwirtschaft
Von hoher Bedeutung für die Gottenheimer war auch immer der große Gottenheimer Wald. Er dient der Versorgung mit Stämmen für Bauholz und Restholz für die Beheizung.
Details zum Bürgerholz
in Gottenheim
Über den Holzanspruch aus dem Gottenheimer Wald gab es mit der Wittenbacher Herrschaft eine Rechtsstreitigkeit, siehe im Jahresbericht 1850 des Großherzoglich-Badischen-Oberhofgerichts in Mannheim
Der Anbau von Faserpflanzen
Mit Beginn des 19.Jahrhunderts wurde der Anbau von marktgängigen Kultur- u. Handelspflanzen gefördert. Es waren vor allem die Faserpflanzen, wie Hanf, Flachs und Lein.
Zeitweise war der Anbau von Hanf (lateinisch: Cannabis) von großer Bedeutung, daher der Flurname Hanfreetze
wo der Hanf in flachen Wasserbecken ausgelegt und
geröstet
(gereetzt) wurde (d.h. so wurden die Hanffasern aufgeschlossen).
Bericht von 1850 über den Hanfanbau (auf Seite 3 wird Gottenheim erwähnt).
Die Fasern dieser Stängelpflanzen mussten gebrochen, ausgekämmt und geflochten werden. Die Hanfpflanzen wurden zuvor einige Tage gewässert, dies geschah in den Gruben den Hanfreeze. Diese Gruben wurden geflutet mit dem
Wasser des Moosgrabens der vom Umkircher Mösle kam und somit die Nutzung des Wassers von ihrer Kaiserlichen Hoheit Frau Großherzogin Stephanie von Baden
erlaubt werden musste. Die Nutzung war daher auch auswärtigen
Pflanzern erlaubt. Die gebrochenen Hanfstängel wurden dann daheim gehechelt und ausgekämmt, diese noch feuchte Ware konnte sich aber erhitzen und selbst entzünden!
Eine Großherzogliche Verordnung vom 19. Dez. 1817 verbietet daher das Hecheln in geschlossenen Gebäuden, da in einer Scheuer in Gottenheim während dieser Arbeit Feuer ausgebrochen war, welches durch schnelles Umgreifen binnen kurzer Zeit mehrere Gebäude zerstörte. (Angedrohte Strafe 10 Reichstaler!) Großherzogliches Badisches Direktorium Freiherr von Türkheim.
Die Hanfreezegruben waren auch im Winter von großem Nutzen, wenn das Wasser dick gefroren war holten die Wirte und Metzger das Eis zum Einlagern zur Kühlung der Waren. Das Lager wurde in einem Kellerraum eingerichtet dessen Wände senkrecht mit Schilf beschlagen wurden zur Isolation und zum Abtropfen des Tauwassers, welches abgepumpt werden musste. Die Eisblöcke wurden in den Gruben mit besonderen Handsägen zerkleinert.
Nach dem St.Gotthard-Durchbruch 1880 kam verstärkt italienischer Hanf auf den Markt und der deutsche Hanfanbau zum Erliegen.
Anfang des 20.Jahrhunderts ging die Hanfreeze ihrem Ende entgegen, das Gelände wurde zu Bauland erklärt und zur Bebauung freigegeben, es entstand die Siedlung
.
Eine weitere Handelspflanze war die Zichorie. Es war eine Wurzelpflanze die getrocknet zur Kaffeebereitung verwendet wurde. Die Wurzeln wurden mit einem schweren Zichoriehaken geerntet, diese Arbeit war sehr kraftaufwändig und hart. Die Zeit des Zichorieanbaus und des Hanfs wurde durch den Tabakanbau abgelöst.
Der Seegrashandel
In den Waldflächen des Mooswaldes gab es größere Flächen an Seegras (eigentlich
Zittergras-Segge
) diese wurden von den Gemeinden an die meistbietenden Seegrashändler vergeben.
Die Händler vergaben das Ernten (Rupfen) im Accord an die Arbeiterinnen und Arbeiter. Es waren meist junge Leute aus der Landwirtschaft, die damit einen kleinen Nebenverdienst hatten. In Gottenheim waren 3—4 Händler, sie trockneten das Seegras und verarbeiteten es zu dicken Zöpfen. Diese Arbeiten verrichteten die Seegrasspinner. Die gebundene Ware war sehr begehrt zur Herstellung von Matratzen, auch in Frankreich. Der Handel wurde noch vor dem Krieg eingestellt. Die älteste Seegrasfamilie waren die Faller in der Hogengasse (Tunibergstr.6).
Die Familie A. Steiert stellten den Handel um 1880 ein und begannen mit der Tabak- und Rauchwarenfertigung. Die Familie Anton Hagios stellte um 1900 ein. Nun waren noch die Familien Otto Hartenbach und Emil Schätzle am Werk.
Der Händler Emil Schätzle (Spitzname Seegraskipper
) brachte mit seinen Pferden eine Fuhre ins Elsass. Dort war die Maul- und Klauenseuche ausgebrochen. Unwissentlich brachte er die Seuche nach Gottenheim, wo sie
verheerende Auswirkungen hatte. Pressebericht
Der Tabakanbau
Nach dem Einbruch des Hanfanbaus nach 1880 entschlossen sich unsere Vorfahren Tabak anzubauen:
Aufgehängt wurden die grünen Tabak-Blätter auf Bandelieren an den Balken auf dem Speicher, in der Scheune sowie an den Vordächern.
Trocknungsanlagen im heutigen Sinne waren damals nicht vorhanden. Erst 1938 wurde auf der Au (heute Winzerhalle) eine Gemeinschaftstrocknungsanlage erstellt. Wer Platz hatte und die erforderlichen geldlichen Mittel, konnte im Laufe der Zeit einen eigenen Schuppen erstellen.
Nach vorhandenen Unterlagen wurden anfangs des 20.Jahrhunderts Preise erzielt, die je Zentner in getrocknetem Zustand bei 17-20 Mark lagen. Bis zum ersten Weltkrieg war das Geschäft besser, nach dessen Ende verschlechterte sich wieder der Tabakabsatz.
Unter Mithilfe der damaligen Landwirtschaftskammer schlossen sich die Tabakpflanzer in Vereinen zusammen. Der Verkauf wurde besser. Je Zentner wurden 30-50 Mark erzielt.
Später wurde das Einschreibsystem
eingeführt. Jeder Tabakanbauer musste von den verschiedenen Ernteanteilen ein Musterbüschel zur Einsicht vorlegen.
Wenn man bedenkt, dass eine Tabakpflanze aus folgenden Ernteanteilen besteht: Grumpen (ganz unten), dann: Sandblatt (das Feinste einer Tabakpflanze), Mittelgut, Hauptgut und Obergut,
wird klar, wie differenziert die Tabakpflanze behandelt werden musste.
Die Ernte an der Pflanze erfolgte von unten nach oben. Eine mühselige Arbeit war das Ernten der Grumpen und des Sandblattes, da dieser Vorgang kniend und beim Sandblatt mit allergrößter Sorgfalt durchgeführt werden musste. Das Sandblatt, das später als Um- und Deckblatt bei Zigarren dienen sollte, durfte keinesfalls irgendwelche Beschädigungen aufweisen. Jede Beschädigung minderte den Erlös. Aufgrund der verschiedenen vorgelegten Muster wurde von der Tabak verarbeitenden Industrie nach einem Punktesystem eine Bewertung vorgenommen, diese war Grundlage war für die in Offenburg durchgeführte Tabakversteigerung.
Im Jahre 1928 führte die Badische Landwirtschaftskammer die Kontingentierung des Tabaks ein, um ein Überangebot zu vermeiden. Das Zollamt Freiburg wurde mit der Überwachung beauftragt. Wenn ein Tabakpflanzer nur 10 Pflanzen mehr hatte, als sein Kontingent auswies, mussten diese vernichtet werden. Es gab damals auch strenge Vorschriften über die Düngung, die jeder Pflanzer genau einhalten musste: Wegen Stickstoffüberdüngung wurde z.B. Jauche grundsätzlich verboten.
Nach dem 1. Weltkrieg stiegen die Qualitätsansprüche erneut. Die unteren Ernteanteile ergaben durchweg Um- und Deckblatt für Zigarren, Zigarillos und Stumpen. Um die erhöhten Qualitätsansprüche zu erfüllen, entschlossen sich die Gottenheimer Tabakanbieter zu einem geschlossenen Anbau mit Beregnung. Die erforderliche Beregnungsanlage, die im Jahre 1953 angeschafft wurde, kostete 8.000 DM. Dieser Betrag wurde zur Hälfte von den Anbauern und zur Hälfte aus Landesmitteln finanziert. Für die Wasserentnahme zum Einsatz der Beregnungsanlage benötigten die Tabakanbauer die Genehmigung durch das Landratsamt. Hiergegen gab es 10 Einsprüche seitens der Wässerungsgenossenschaft und der Mühlenbesitzer. Mehrere Besprechungen wurden erforderlich. Endlich wurde eine gütliche Vereinbarung getroffen. Jeweils in der Zeit vom 1. bis 20. Juli darf Wasser nur an jedem Dienstag, Mittwoch und Donnerstag zwischen 19 und 9 Uhr des folgenden Tages und jeweils in der Zeit vom 20. bis 31. Juli an jedem Samstag, Sonntag und Montag zwischen 19 und 9 Uhr des folgenden Tages entnommen werden, d. h. die Beregnung durfte nur nachts erfolgen. Dieser Vorgang musste von den Tabakpflanzern überwacht werden. Der Tabak benötigt in seiner Hauptwachstumszeit (70 Tage ab Juli bis Anfang September) etwa 360 mm Niederschlag. Diese Niederschlagsmenge wird in der angegebenen Zeit nicht erreicht, so dass die Beregnungsanlage sich als Vorteil für die Tabakpflanzer erwies.
Eine alte Erfahrung setzt gute Weinjahre schlechten Tabakjahren gleich, und die guten Weinjahre 1947, 1949 und 1952 zeigten sich wirklich als schlechteste Deck- und Umblattjahre
.
Als Einlage (Seele) wird der innere Teil einer Zigarre bezeichnet. Dieses Blattmaterial hat nur einen verhältnismäßig geringen Wert. Deck- und Umblattmaterial werden dreimal so hoch bezahlt wie
Einlegematerial. Diese beiden wertvollen Blattmassen sind aber naturgemäß nur in niederschlagsreichen Jahren zu erzeugen. Durch die künstliche Beregnung konnte die klimatische Ungunst erfolgreich
überbrückt werden, denn selbst in summarisch niederschlagsreichen Jahren traten größere und kleinere Trockenperioden auf, die die Qualität des Tabaks beeinträchtigten. Deshalb war die Anschaffung
einer Beregnungsanlage von großem Nutzen. Schon im ersten Jahr der Beregnung wurde ein Mehrerlös von 80% erzielt. Die Gottenheimer Tabakpflanzer erreichten in der BRD Spitzenpreise.
Das Ansehen des heimischen Tabaks lag immer in seiner Qualität begründet. Disziplinierte Erzeugung und Anpassung an die sich laufend ändernde Marktsituation wurden immer mehr erforderlich. Die guten Qualitäten und die sich in der Gemeinde angesiedelten Tabak- und Zigarrenfabriken brachten auch in anderer Weise Arbeit in die Gemeinde: Heimarbeit und Fabrikarbeit waren besonders für Frauen eine Möglichkeit, das Einkommen der Familien aufzubessern. Die Verkehrsverbindungen zur Stadt waren seinerzeit noch nicht so ausgebaut wie heute, und Autos waren für die Familien ein unerschwinglicher Luxus. Nach Unterzeichnung der EWG-Verträge kam als neuer Nachteil für den heimischen Tabakanbau der Zoll-Abbau. Ab 1959 trat dann noch die Blauschimmelkrankheit stark auf. Die dagegen erforderlichen Spritzungen waren schwierig und arbeitsaufwändig. Dadurch kam der Tabakanbau mehr und mehr zum Erliegen. Ein starker Konsumrückgang bei Zigarren und Stumpen verstärkte den Niedergang.
Gleichzeitig entwickelte sich in den Nachbarorten eine moderne Industrie, die neue Arbeitsplätze schuf; die Verbindungen zur Stadt verbesserten sich laufend und die Möglichkeit, sich ein Auto zu kaufen, um so an anderen Plätzen Arbeit aufzunehmen, war für die meisten Familien kein Problem mehr. Auch das Lohnangebot der Industrie war für die ehemaligen Tabakarbeiter- und -arbeiterinnnen so verlockend, dass die in Gottenheim angesiedelte Zigarrenfabrikation nicht mehr Schritt halten konnte. Alle drei Betriebe mussten mit der Fabrikation aufhören. Im Jahre 1967 hat auch die Firma Steyert, die seit 1877 eine mittlere Zigarrenfabrikation betrieb, ihre Pforten geschlossen.
Quelle:900 Jahre Gottenheim 1086-1986